Data Driven Estimation of Wall Shear Stress from Magnetic Resonance Imaging

Gabriel Teschner

In vielen ingenieurwissenschaftlichen und medizinischen Anwendungen treten Strömungen auf. Von besonderem Interesse sind dabei dynamische Größen, insbesondere Kräfte, die ein strömendes viskoses Fluid auf seine Umgebung ausübt. Nach dem allgemein akzeptierten Strömungsmodell lassen sich diese dynamischen Größen durch Ableitungen des Geschwindigkeitsfeldes ausdrücken.

Mit Varianten der Magnetresonanztomographie können sowohl morphologische als auch Geschwindigkeitsdaten im Inneren eines Körpers erfasst werden. Als nichtinvasive Methode ist sie besonders für in vivo Untersuchungen des kardiovaskulären Systems geeignet.

In dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit der Bestimmung der Wandschubspannung, der Verteilung der Scherkräfte, die die Blutströmung auf die Aortenwand ausübt. Dazu muss aus den Magnetresonanzdaten die Strömungsgeometrie sowie das Geschwindigkeitsfeld bestimmt und anschließend dessen Normalableitung, die Schergeschwindigkeit, ausgewertet werden. Auf den ersten Blick mag diese Aufgabe trivial erscheinen, allerdings erschweren einige Probleme ihre Lösung:

- Die Magnetresonanztomographie misst lokale Mittel der Strömungsgeschwindigkeit mit vergleichsweise niedriger Auflösung. Zusätzlich sind die Messungen verrauscht. – Die Blutströmungen bilden Grenzschichten aus, in welchen sich das Strömungsfeld stark verändert. Dies erschwert die akkurate Approximation des Geschwindigkeitsfeldes gerade im Wandbereich. – Es besteht eine strukturelle Verbindung zwischen Strömungsgeschwindigkeit und Strömungsgeometrie: An der Wand besitzt gerade die auszuwertende Schergeschwindigkeit eine Unstetigkeit.

Im ersten Teil dieser Arbeit stellen wir ein Framework zur rein datenbasierten Berechnung der Wandschubspannung vor. Dabei werden zunächst die Strömungsgeometrie und anschließend die Strömungsgeschwindigkeit durch Parametrisierungen approximiert. Im Kontinuierlichen lässt sich die Rekonstruktionsmethode als Regularisierungsverfahren zweier gekoppelter inverser Probleme analysieren. Die zugehörigen Vorwärtsoperatoren erfüllen eine bedingte Stabilitätsabschätzung, womit die Konvergenz des Rekonstruktionsverfahrens unter akzeptablen Glattheitsvoraussetzungen an Geometrie und Strömung nachgewiesen werden kann. Diese Resultate lassen sich weitgehend in den diskreten Fall übertragen, wobei zur Minimierung des Datenfehlers diskrete Vorwärtsoperatoren eingeführt werden.

Im zweiten Teil der Arbeit nutzen wir Methoden der Datenassimilation, um mithilfe eines Strömungsmodells die rein datenbasierte Rekonstruktion zu verbessern. Einerseits greifen wir dafür auf einen in der Arbeitsgruppe entwickelten Variationszugang zur Geschwindigkeitsrekonstruktion unter bekannter Geometrie zurück, der ein aus Datenfehler und Modellfehler bestehendes Zielfunktional minimiert. Formal entspricht dieses Verfahren einem Optimalsteuerungsproblem. Andererseits demonstrieren wir die prinzipielle Möglichkeit, die Geometrierekonstruktion mit einem Strömungsmodell zu verbessern. In beiden Fällen nutzen wir die weitgehend akkuraten datenbasierten Rekonstruktionen zur Linearisierung und Lokalisierung des eingesetzten Strömungsmodells.

Die theoretischen Aussagen wurden in Kooperation mit Experten vom Fachgebiet für Strömungslehre und Aerodynamik der Technischen Universität Darmstadt und des Fachbereichs Radiologie und Medizinphysik des Universitätsklinikums Freiburg umfangreich validiert. Eine große Schwierigkeit ist der Mangel an Referenzwerten. Die Wandschubspannung reagiert sehr sensibel auf Störungen der Umgebungsbedingungen. Deshalb mussten die Experimente mit akribischer Genauigkeit durchgeführt werden, um Reproduzierbarkeit und damit die Aussagekraft der durch hochauflösende Laser-Doppler-Anemometrie sowie Computersimulationen erhaltenen Referenzwerte sicherzustellen. Zusätzlich wurden besonders stabile, aber auf bestimmte Strömungen spezialisierte Verfahren entwickelt, um die Wandschubspannung mit hoher Genauigkeit auch aus den Magnetresonanzdaten zu bestimmen. Weiterhin wird in einigen Fällen auf virtuelle in silico Daten zurückgegriffen.

Bereits die rein datenbasierte Methode liefert weitgehend überzeugende Resultate. Allerdings ist die Rekonstruktion sehr sensibel bezüglich Fehlern in der Geometrieerkennung und zeigt in einigen Fällen durch die grobe Auflösung verursachte systematische Störungen. Unsere Analyse identifiziert die Fehlerquellen und ihren Beitrag zum Rekonstruktionsfehler. Dies liefert wichtige Hinweise für eine geeignete Wahl der Messparameter. Weiterhin lassen sich die beschriebenen Schwachstellen der rein datenbasierten Rekonstruktion durch die vorgestellten Datenassimilationsmethoden substantiell verbessern. Die Spezialisierung unseres Rekonstruktionsframeworks auf die Anwendung in der Aorta führt zu einem niedrigen Rechenaufwand, typische Rechenzeiten für alle vorgestellten Methoden liegen im Bereich von wenigen Minuten auf gewöhnlicher Hardware. Damit ist auch unter den Limitierungen der klinischen Routine eine valide Schätzung der Wandschubspannung möglich.

Diese Arbeit wurde durch das DFG Projekt EG-331/1-1 finanziert. In dessen Rahmen entstanden in Zusammenarbeit mit den Projektpartnern die folgenden Arbeiten:

- H. Egger and G. Teschner. On the Stable Estimation of Flow Geometry and Wall Shear Stress from Magnetic Resonance Images. Inverse Problems, 35:095001, 2019. – A. Bauer, S. Wegt, M. Bopp, S. Jakirlic, C. Tropea, A. J. Krafft, N. Shokina, J. Hennig, G. Teschner and H. Egger. Comparison of Wall Shear Stress Estimates Obtained by Laser Doppler Velocimetry, Magnetic Resonance Imaging and Numerical Simulations. Experiments in Fluids, 60:1–16, 2019. – N. Shokina, A. Bauer, G. Teschner, W. B. Buchenberg, C. Tropea, H. Egger, J. Hennig and A. J. Krafft. MR-based Wall Shear Stress Measurements in Fully Developed Turbulent Flow using the Clauser Plot Method. Journal of Magnetic Resonance, 305:16–21, 2019. – N. Shokina, G. Teschner, A. Bauer, C. Tropea, H. Egger, J. Hennig and A. J. Krafft. Quantification of Wall Shear Stress in Large Blood Vessels using Magnetic Resonance Imaging. Computational Technologies, 24:4–27, 2019. – N. Shokina, G. Teschner, A. Bauer, C. Tropea, H. Egger, J. Hennig and A. J. Krafft. Parametric Sequential Method for MRI-based Wall Shear Stress Quantification. IEEE Transactions on Medical Imaging, 40:1105–1112, 2020.

Wir fassen die in den obigen Arbeiten gewonnen Resultate in dieser Dissertationsschrift zusammen und ergänzen sie an geeigneter Stelle zu einer vollständigen Analyse der Rekonstruktion der Wandschubspannung.

https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/23218/