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Berechnung der Eigenzeitdifferenz beim Zwillingsparadoxon

Gerhard W. Bruhn, Technische Universität Darmstadt


Zum Zwillingsparadoxon gibt es eine Reihe von Darstellungen, z.B. [1; S.1164] und [2]. Die Zeit für den ruhenden Zwilling von Abreise bis Rückkehr seines Bruders sei T. Es wird angenommen, dass der reisende Bruder (gesehen vom ruhenden Inertial-System [1; S.1164] aus) die Bahn x=x(t) (0 < t < T), y=z=0, durchläuft mit x(T/2)=L und x(T)=0. Die Eigenzeit des reisenden Bruders ist nach SRT (z.B. [1; S.1154 (6.4.5)]

T' = 0T (1 − v²(t)/)½ dt .

Man sieht, dass der Zeitunterschied T − T' durch die mit großem v durchlaufenen Wegstücke verursacht wird, während kleines v nur wenig zum Unterschied beiträgt. Nimmt man v konstant = vo := 2L/T an, so folgt unter Vernachlässigung der Beschleunigungs- und Abbremsphasen

T' ≈ T (1 − vo²/)½ ,

was für nichtrelativistisches vo << c zu der Zeitdifferenz

ΔTo = T − T' ≈ ½ vo²/ T = voL/

führt.

Das Integral lässt sich sonst nur in Sonderfällen geschlossen auswerten. Jedoch lässt sich die Wurzel durch Abschätzung beseitigen. Man hat mit der Abkürzung β := v/c

1 − (1 − β²)½ = β²/[1 + (1 − β²)½] .

Der Nenner liegt hier offenbar zwischen 1 und 2. Daher erhält man wegen 0 ≤ β² < 1 die Abschätzung

½ β² ≤ 1 − (1 − β²)½ ≤ β²

und durch Integration über das Intervall [0,T] für T − T' = 0T [1 − (1 −β²)½] dt

½ 0T β² dt ≤ T − T' ≤ 0T β² dt .

Damit genügt es zur Abschätzung von T − T', das Integral 0T β² dt auszuwerten, was für geeignetes v(t) = x·(t) u.U. wesentlich leichter ist.

Es wird z.B. angenommen, dass die Bahn des reisenden Zwillings (von x(0)=0 nach x(T/2)=L und zurück zu x(T)=0 bei y=z=0) durch eine Oszillatorbewegung der Kreisfrequenz ω = /T gegeben ist:

x(t) = ½ L (1 − cos ωt) ,   0 < t < T .

Dann folgt mit vo := 2L/T und ωT = 2π

β(t) = 1/c x·(t) = /2c sin ωt = vo/c π/2 sin ωt ,

somit

0T β²(t) dt = vo²/ π²/4 0T sin²ωt dt = vo²/ π²/4 T/2 = π²/4 voL/ .

Damit hat man für den Fall der Oszillatorbewegung das Ergebnis

½ π²/4 voL/ ≤ T − T' ≤ π²/4 voL/ = π²/4 ΔTo .

Wegen π²/8 = 1,2337 liegt T − T' deutlich (nämlich um mindestens 23%) über dem oben durch Vernachlässigung der Beschleunigungsphasen bei konstanter nichtrelativistischer Reisegeschwindigkeit vo berechneten Wert der Zeitdifferenz.

Bemerkung

Die Ursache der Zeitdifferenz ΔT ist in der Unsymmetrie der Aufenthaltsbedingungen beider Zwillinge zu sehen. Während der erste Zwilling in einem Inertialsystem ruht, bewegt sich der reiselustige Zwilling in einem Nicht-Inertialsystem, d.h. er wechselt bei seiner Reise die Inertialsysteme: Das geschieht im Fall der Oszillatorbahn kontinuierlich, im Fall der vernachlässigten Beschleunigungsphasen dagegen sprungartig am Reiseanfang und -Ende sowie am Umkehrpunkt. Gelegentlich wird argumentiert, es sei die Verweildauer in bewegten Inertialsystemen der Grund für das Auftreten der Zeitdifferenz. Doch wäre ein Verweilen in bewegten Inertialsystemen ohne (u.U. abrupt erfolgende) Beschleunigung/Verzögerung überhaupt nicht möglich. Überdies sieht man an den obigen beiden Beispielen, dass Art und Verlauf der Beschleunigung den Wert der Zeitdifferenz wesentlich bestimmen. (s. dazu auch [2]).


Literatur

[1]    E. Schmutzer, Grundlagen der Theoretischen Physik Bd.2,
        3.Auflage, Wiley VCH 2003, ISBN 3-527-40-362-0

[2]    WIKIPEDIA: Twin paradox
        http://july.fixedreference.org/en/20040724/wikipedia/Twin_paradox