Einführung in die mathematische Modellierung

Übung vom 21. April 2004

Übungsleiter: Prof. Dr. Martin Kiehl

Übungsziel

Ziel der Übung war eine Realweltentscheidung als Problem der Suche und Abwägung verschiedener Kriterien zu betrachten. Die Kriterien sollen so abgewogen (optimiert) werden, daß die Summe der gewünschten Effekte maximiert wird während die negativen Effekte minimiert werden.

Die Bestimmung eines konkreten, systematischen und geschlossenen Vorgehens zur Definition und Priorisierung von Kriterien – ein Prozeß der Anforderungsanalyse – überschreitet das Übungsziel ebenso, wie die Bestimmung einer geschlossenen Optimierungsgleichung für das verwendete Problem.

Problemstellung

Eine Gemeinde möchte für ein Wohngebiet einen Spielplatz bauen. Die Zahl der Kinder in jedem Wohnblock ist bekannt. Das Wohngebiet wird von einer großen und stark befahrenen Straße durchzogen. Die Grünstreifen zwischen den Wohnblöcken bieten hinreichenden Raum um den Spielplatz zwischen den Wohnblöcken zu bauen.

Die Gemeinde muß über den Ort des Spielplatzes, sowie seine Größe und eventuell zur Nutzung des Spielplatzes notwendige Verkehrsordnungsmaßnahmen entscheiden.

Geld ist – wie immer – knapp. Geld das für den Spielplatz verwendet wird kann für andere Zwecke nicht mehr verwendet werden. Neben dem Wo und Wie des Spielplatzes steht folglich auch immer die Frage seines Wertes relativ zu anderen Projekten im Raum.

Kriterien

Die Übungsgruppe sammelte in einem Brainstorming folgende Kriterien (Anforderungen) an den Spielplatz

  1. Ausreichender Platz für den Spielplatz
  2. Sichere Wege zum Spielplatz / möglichst wenige Straßenübequerungen / Ampel, Brücke oder Unterführung zur Überquerung der Hauptstraße
  3. Möglichst nah an vielen Kindern / S Wege minimieren
  4. Leicht zu merkende Wege (seltenes Abbiegen erforderlich)
  5. Prognose der Zahl und Verteilung der Kinder
  6. Geringe Anwohnerbelästigung
  7. Gesamtoptimierung aller Spielplätze unter Berücksichtigung umliegender Stadtgebiete
  8. Option für weiteren Ausbau offen halten

Besprechung der Kriterien

  1. Ausreichender Platz ist eine notwendige Bedingung (Nebenbedingung) für den Bau eines Spielplatzes. Durch diese Nebenbedingung wird möglicherweise das eigentliche Optimum der anderen Dimensionen ausgeschlossen. Das Optimum wird zum Optimum innerhalb des von dieser Nebenbedingung eingeschränkten Gebiets.
    Dennoch ist auch diese Nebenbedingung nicht völlig unabhängig und statisch. Je nach Budget kann mehr oder weniger Platz benötigt werden. Außerdem hängt sie mit der Option für weiteren Ausbau (Punkt 8) und der Prognose der Zahl der Kinder (Punkt 5) zusammen.
  2. In die Frage der Sicherheit des Zugangs zum Spielplatz geht die Wahrscheinlichkeit des Todes eines Kindes auf dem Weg zum Spielplatz und der Wert, den die Gemeinde einem Leben zumißt, ein.



    Beide Aspekte sind emotional schwer zu besprechen.

    Das Risiko auf dem Weg zum Spielplatz läßt sich beliebig reduzieren, zum Beispiel, durch Ampel oder Brücken über gefährliche Straßen, durch bauen mehrerer Spielplätze, so daß von jedem Wohnblock aus einer ohne Straßenüberquerung zugänglich ist, oder indem die Kinder gänzlich Zuhause bleiben. Dem gegenüber stehen die dramatisch wachsenden Kosten und die Tatsache, daß Kinder auch Zuhause nie völlig sicher sind.
    auch Zuhause

    Jedes Krankenhaus könnte mit mehr Personal und besserer Technik im Jahr n Menschenleben mehr retten. Trotzdem erhält das Krankenhaus keine zusätzlichen Mittel nicht. Die Gesellschaft weist einem Lebens implizit einen Wert zu, indem sie in weitere Maßnahmen zu seinem Schutz keine weiteren Investitionen tätigt.
  3. Einige Kinder werden immer näher am Spielplatz wohnen als andere. Ziel der Optimierung ist offensichtlich möglichst vielen Kindern einen zumutbar langen Weg zu bieten, auch wenn einige wenige einen unzumutbar langen Weg gehen müssen.

    Zwei Indikatoren für die Zumutbarkeit der Strecke wurden gefunden:
    1. Eltern bringen ihre Kinder zum Spielplatz. Die Entfernungskosten lassen sich als finanzielle Größe ausdrücken, indem die Wegdauer auf Stundenlohn der Eltern bezogene wird.
    2. Die Mühe selbst hinzulaufen sind die Kosten für die Kinder. Kinder setzen die Zumutbarkeitsgrenze indem sie den Spielplatz nutzen oder nicht.
  4. Es wird sich wahrscheinlich nicht lohnen die Komplexität des Wegs als Optimierungskriterium zu verwenden. Kinder lernen den Weg wenn sie ihn ein paar mal gegangen sind. Die Optimierung würde nur unnötig erschwert.
  5. Der Spielplatz wird für Jahrzehnte existieren. Lage und Größe des Spielplatzes und unterstützender Infrastrukturmaßnahmen dürfen also nicht nur von der aktuellen Zahl und Verteilung der Kinder im Stadtteil abhängen.

    Möglicherweise zeigt sich bei der Prognose der Zahl und Verteilung von Kindern in diesem Stadtteil auch, daß die Mehrzahl der Kinder beim voraussichtlichen Fertigstellungstermin des Spielplatzes die dem entsprechenden Alter entwachsen sein wird, und die Bevölkerungsstruktur nicht auf junge Eltern hindeutet. In diesem Fall wäre es günstiger wäre das Geld ganz anders zu investieren.
  6. Der Spielplatz muß nicht nur von den Kindern, sondern auch von den Anwohnern akzeptiert werden, die sonst wegen der Lärmbelästigung möglicherweise den Bau blockieren würden. Zum einen könnte der Spielplatz lärmgeschützer (und damit teuerer) gestaltet werden. Er könnte aber auch in einer Wohngegend mit vorwiegend jungen Eltern erreichtet werden, die Verständnis für lärmende Kinder haben.
  7. Die Bewohner des Stadtteils sind über seine Grenzen hinaus mobil. An den Rändern des Stadtteils werden die Kinder möglicherweise näher an einem Spielplatz eines anderen Stadtteils wohnen als den ihrem. Auch wenn die anderen Spielplätze bereits existieren muß die Optimierung des Spielplatzes im Kontext einer Gesamtoptimierung aller Spielplätze erfolgen.
  8. Wird das Wachstum der Stadt nicht berücksichtigt, so lassen sich die neuen Gebiete später unter Umständen nur mit großem Aufwand mit Spielplätzen versorgen.

    Wird das Wachstum der Stadt hingegen von vornherein berücksichtigt, kann eine unvollständige, aber der Wachstumserwartung entsprechende Verteilung der Spielplätze die Versorgung gewährleisten, wenn sie notwendig wird.

Dies widerstrebt aber zunächst den Bedürfnissen der aktuellen Bevölkerung und ist schwer durchzusetzen.

Fazit

Wegen begrenzter Ressourcen und teilweise direkter Widersprüchlichkeit ist es nicht möglich alle Kriterien gleichzeitig in vollem Maße zu erfüllen. In diesem Spannungsfeld widerstrebender Anforderungen ist es notwendig das Optimum zu finden, so daß die gewünschten Effekte maximiert werden während die negativen Effekte minimiert werden. Ein Maß des Erfolgs dieser Aufgabe ist gegeben, wenn alle Anforderungen vergleichbar werden, etwa indem man sie durch ihren Geldwert und ihre Kosten ausdrückt. Die Summe der Werte abzüglich ihrer Kosten stellt den Gewinn der Maßnahme dar. Eine geschlossene Formel für dieses mehrdimensionale Optimierungsproblem zu finden ist jedoch sehr aufwendig und man sieht in der Praxis davon ab.

 

Navid Vahdat

Matrikel Nummer 1213799