Frank Schirrmachers Pseudo-Logik

11.01.2012

J.W. Goethe im Schülergespräch in "Faust I":

      "Mein teurer Freund, ich rat' Euch drum
      Zuerst Collegium Logicum . . ."

Der FAZ-Chef-Feuilletonist Frank Schirrmacher hat es nicht mit der Logik und sollte besser den Mund nicht so weit aufmachen! Er meint in seinem Artikel "Wulffs Erklärung - die Fiktion"

" Weil eine falsche Prämisse alles falsch macht, war das Interview des Präsidenten so fatal."

Aber:

Aus einer falschen Prämisse können auch richtige Aussagen abgeleitet werden.

Also macht eine falsche Prämisse keineswegs "alles" falsch. Dazu Beispiele aus der Schulmathematik:

Beispiel 1:
In der Arithmetik ist die Aussage "−1 = +1" sicherlich falsch: −1 und +1 sind ungleich, also ist "−1 = +1" falsch.
Aber es gibt die folgende Rechenregel:
Aus den Prämissen

(1)      a = b       und       (2)       c = d

folgt       ac = bd :

Gleichungen können seitenweise miteinander multipliziert werden.

Wendet man diese Regel auf den Spezialfall

(1)       −1 = +1       und       (2)       −1 = +1

an, so erhält man das Ergebnis

(−1)2 = (+1)2 ,

und das ist richtig, denn beide Seiten sind gleich, nämlich gleich +1. Und dies, obwohl die Prämissen falsch sind.

Beispiel 2:
Die (falschen) Prämissen

(1)       −1 = +1       und       (3)       +1 = −1 .

geben bei seitenweiser Multiplikation das richtige Ergebnis

(−1) · (+1) = (+1) · (−1) ,

denn die Multiplikation von ganzen Zahlen ist kommutativ:   a · b = b · a .

Der Leser möge sich davon überzeugen, dass man leicht weitere Gegenbeispiele zu Schirrmachers "Logik-Regel" konstruieren kann: Gleichungen darf man auch addieren. Man addiere (seitenweise links zu links und rechts zu rechts) die falschen Prämissen (1) und (3).

Was Herr Schirrmacher meint, ist etwas anderes:

Wenn eine Folgerung aus den Prämissen A, B, C, ... falsch ist, muss auch mindestens eine der Prämissen A, B, C, ... falsch sein.

Aus der Falschheit einer Folgerung kann auf die Falschheit mindestens einer der zugrunde liegenden Prämissen geschlossen werden.

F. Schirrmachers "Umkehrung" dieser Regel ist ein Anfänger-Fehler, vor dem jeder Student eines Mathematik-bezogenen Faches zu Beginn seines Studiums eindringlich gewarnt wird, er ist so schlimm, wie die Verwechslung von Ursache und Wirkung, oder fast so schlimm wie die Verwechslung von Mein und Dein.

F. Schirrmachers Fehler hat noch eine Nutzanwendung auf seinen Artikel selbst: Der Verfasser geht, wie gezeigt, von der falschen Prämisse aus, dass

"eine falsche Prämisse alles falsch macht".

Ob daher die Schlussfolgerung, die Quintessenz des Artikels im zweiten Teil von Schirrmachers oben zitierten Weil-Satz, richtig oder falsch ist, kann logisch nicht entschieden werden: Die Beweisführung, i.e. der Artikel, mag zwar sehr eloquent sein, ist aber vom Standpunkt der Logik irrelevant. Er kann richtig oder falsch sein, wer weiß???

Prof. em. Dr. Gerhard W. Bruhn
Fachbereich Mathematik
der TU Darmstadt

Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wulffs-erklaerung-die-fiktion-11594310.html